Provinz

#1 von Ludwig Trepl , 21.07.2011 11:18

Michael Allers schrieb mir:

Zitat
da ich schon so manchen Kommentar in Ihrem Blog hinterlassen habe,
möchte ich Ihnen (und anderen) die Gelegenheit geben, sich zu 'revanchieren'. ...
Sie könnten z.B. erklären, warum Sie alle Denglischsprecher für in Angstschweiß
gebadete Provinztrottel halten.
Wie ordnen Sie eigentlich Menschen ein, bei denen es noch nicht mal für Denglisch reicht, sondern die ihre in der Kindheit erlernte Muttersprache für die einzig wahre in der Welt halten und sich daran klammern wie Ertrinkende ans Rettungsboot?
So etwas nenne ich 'provinziell'!



Hier meine Antwort:

Hab’ ich je gesagt, daß die Denglisch-Sprecher, und zwar alle, Provinztrottel sind? Daran kann ich mich gar nicht erinnern.
(Hier z. B. kann man nachlesen, was ich meine:
http://deutsche-sprak.blogspot.com/2011/...lahwinseln.html,
http://deutsche-sprak.blogspot.com/2011/...rachlichen.html, http://www.wzw.tum.de/loek/lehre/download/merkzettel8.pdf)

Also: Ich weiß nicht, ob sie Provinzler sind. Vielleicht sind wirklich die, die am Deutschen festhalten, provinzieller. Vielleicht sind auch diejenigen, die immer noch Dialekt sprechen, provinzieller als die, denen das peinlich ist und die darum auf Hochdeutsch umzusteigen versuchen. Aber erstere leiden nicht unter dem Glauben, daß sie für Provinzler gehalten werden, es ist ihnen vielmehr egal. Die Denglisch-Freunde aber glauben, daß man sie, als Deutsche, für provinziell hält oder daß sie das tatsächlich sind und es herauskommen könnte. Davor wollen sie sich schützen, indem sie einen Wall aus Weltläufigkeit signalisierenden Wörtern um sich errichten. Sich für einen Provinztrottel zu halten oder zu glauben, daß die anderen einen dafür halten (könnten), ist etwas ganz anderes als ein solcher zu sein.

Woher ich das weiß? Aus dem gleichen Grund, aus dem es alle und auch die Denglisch-Sprecher selber wissen oder doch wissen könnten, wenn sie nicht eine so gewaltige Verdrängungsarbeit auf sich nähmen. Sie müßten bloß mal in sich hineinsehen und sich das, was sie das sehen, auszusprechen trauen. Ich weiß, daß das schwer ist. Als ich anfing, mir meinen süddeutschen Dialekt abzugewöhnen, habe ich mir eingeredet, ich täte das, weil man mich sonst im Norden, wo ich nun wohnte, nicht verstehen könnte. Natürlich wußte ich, daß ich mir da etwas vorlüge; alle hätten mich verstanden. Mein Motiv war genau das der Denglisch-Sprecher.

Mit diesen meine ich nicht alle, die Wörter englischer Herkunft benutzen, denn dann wäre ich auch einer. Ich sage Jeans und nicht mehr Nietenhosen, weil es allgemein üblich geworden ist, ich sage Layout, weil mir für die zu bezeichnende Sache kein anderes Wort einfällt. Es gibt ja, allerdings selten, auch andere Gründe als den oben genannten, Wörter aus der Sprache von Ländern zu benutzen, zu denen man aufblickt. Nein, ich meine die Vorreiter, Leute, die zu der Zeit, als noch alle Fahrkarten kauften, ein Ticket verlangten (und in Kürze statt zum Fahrkartenkaufen zum Ticketing gehen werden) oder heute „beim Job“ statt „auf der Arbeit“ sagen. Wer in 20 Jahren „beim Job“ sagt, ist kein Denglisch-Sprecher, weil „Job“ (in der sich jetzt ausbreitenden Bedeutung, nicht in der ganz anderen, die es vor 20 oder 50 Jahren in der deutschen Sprache hatte) dann ein deutsches Wort sein wird, so wie Fenster und Adresse deutsche Wörter sind. Und aufblasen kann man sich der natürlich auch nicht mehr.
Was die angeht, die "ihre in der Kindheit erlernte Muttersprache für die einzig wahre in der Welt halten
und sich daran klammern wie Ertrinkende ans Rettungsboot": Bei mit liegt das einfach daran, daß ich keine andere Sprache kann; für wahrer als andere Sprachen halt' ich sie eben deshalb nicht: ich kenne ja die anderen nicht.


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RE: Provinz

#2 von Michael Allers , 21.07.2011 19:15

Lieber Herr Trepl,

vorweg: Ich habe Ihren Beitrag ein wenig editiert, natürlich nur formal, nicht inhaltlich. Zitate können Sie mit der weißen Schaltfläche (denglisch: dem Button) in der oberen Reihe, 5. von links einfügen:

1
 
[quote]Hier steht ein Zitat[/quote]
 

.
So ist es ist übersichtlicher.

OK, wenn ich Sie richtig verstehe, sind nicht alle Denglisch-Sprecher Provinztrottel, sondern sie halten sich nur für solche? Oder sie wähnen nur, dass sie von andern für solche gehalten werden?
Natürlich gibt es Provinztrottel, egal ob sie Hochdeutsch, Dialekt oder Denglisch sprechen. Abgesehen davon, dass es natürlich auch sehr intelligente Provinzler und Großstadttrottel gibt, wirft das die Frage auf: Warum sollte sich jemand für einen Provinztrottel halten oder anderen diese Einschätzung unterstellen, wenn er doch gar keiner ist? Das ist m.E. doch unwahrscheinlich, und demzufolge setzen Sie letztlich doch alle Denglisch-Sprecher mit Provinztrotteln gleich.

In einem sind wir uns ja einig: Wir mögen keine verbalen Schaumschläger. Sie geißeln diese völlig zu Recht in Ihrem Blog, und es gibt da genügend Beispiele für verqueres Deutsch ganz ohne Denglisch-Einsprengsel. Wenn irgendein Business-Yuppie meint sagen zu müssen "Wir müssen Synergien heben, dann sind wir gut aufgestellt", ist das doch keinen Deut weniger aufgebläht als irgendeine denglische Floskel, oder?

Und warum benutzt man nun Denglisch? Ich kann nur für mich sprechen, halte mich jedoch nicht für einen exotischen Einzelfall:

1. Man hat für irgendetwas Neues zuerst den englischen Begriff, z.B. Layout, gehört und bleibt dabei. Vermutlich ist es anderen ebenso ergangen - warum sollte man die mit einem im Nachhinein erfunden deutschen Begriff verwirren und die Kommunikation erschweren?

2. Der Mensch ist von Natur aus faul, und Denglisch ist i.d.R. kürzer.
Button ist kürzer als Schaltfläche, und Ticket ist kürzer als Fahrkarte.

Zitat
Bei mit liegt das einfach daran, daß ich keine andere Sprache kann; für wahrer als andere Sprachen halt' ich sie eben deshalb nicht: ich kenne ja die anderen nicht.


Das ehrt Sie und hebt Sie erneut vom durchschnittlichen Sprachnörgler ab.

Fazit:
a) 'Blähsprache' ist nicht notwendigerweise Denglisch.
b) Wenn Menschen sich einfach nur sprachökonomisch verhalten, muss man da keine Minderwertigkeitskomplexe oder gar die anglo-amerikanische Weltverschwörung hineingeheimnissen.
c) Wie Sie mit dem Job-Beispiel sehr schön verdeutlichen, ist das Empfinden 'Denglisch oder Deutsch' nur eine Frage der Zeit und der Gewöhnung. Ich frage mich nur immer wieder, warum manche Menschen dazu anscheinend Jahrzehnte brauchen.

Viele Grüße
Der Provinztrottel aus Wiesbaden ;-)


"Je mehr Wortbestand eine Sprache mit anderen gemeinsam hat, umso größer ist ihre Wettbewerbsfähigkeit. Die englische Sprache selbst besteht zu guter Hälfte aus Wörtern anderer Sprachen, und sie ist ja auch nicht untergegangen, wie wir wisssen." - Prof. (em.) für Germanistische Linguistik Dr. Peter von Polenz

 
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RE: Provinz

#3 von Ludwig Trepl , 23.07.2011 11:30

Lieber Herr Allers,

wir kommen uns schon näher, aber die entscheidende Differenz bleibt.

Sie fragen:
„Warum sollte sich jemand für einen Provinztrottel halten oder anderen diese Einschätzung unterstellen, wenn er doch gar keiner ist?“
Ganz einfach, weil er aus Düsseldorf oder Posemuckel stammt und nicht aus N. Y. oder L. A. und er meint, daß dort die Musik spielt. Weil er nicht von dort ist, weiß er nicht so recht, glaubt er, wie man sich „richtig“ aufführt, selbst wenn er sich richtig aufführt. So wie es halt immer schon war. Wer nicht aus Paris war, neigte im 18. Und 19. Jahrhundert sehr zu entsprechenden Minderwertigkeitskomplexen, auch wenn er vielleicht viel weltläufiger war als ein in Paris geborener.

"’Wir müssen Synergien heben, dann sind wir gut aufgestellt’, ist das doch keinen Deut weniger aufgebläht als irgendeine denglische Floskel, oder?“
Richtig, und das heute im Deutschen gesprochene Blähvokabular ist, vermute ich, weit überwiegend nicht angloamerikanischer Herkunft. Vor allem die Politikersprache enthält nicht viel Denglisch, aber wohl nirgendwo anders bläht man sich so. – Daß man sich kaum mehr mit Hilfe französischer Wörter großmacht, erweckt in mir allerdings eher eine wehmütig-nostalgische Stimmung, und daß das Aufblähen mit Fremdwörtern lateinisch-griechischer Herkunft, wenn sie nicht über den Manager-Jargon vermittelt werden, so zurückgegangen ist, ärgert eher, weil sich darin eine unangenehme Intellektuellen- und Bildungsfeindschaft zeigt.

„Man hat für irgendetwas Neues zuerst den englischen Begriff, z.B. Layout, gehört und bleibt dabei.“
Ja, das kommt vor, gar nicht so selten. Aber wir können ja wetten: Sehen Sie sich eine zufällige Sammlung von Anglizismen an und überlegen Sie bei jedem, ob er diese Ursache haben dürfte oder die von mir genannte (Angstschweiß). Ich gewinne haushoch.

„Ticket ist kürzer als Fahrkarte.“
Das halte ich für abwegig, oder genauer: das spielt nur dann eine Rolle, wenn man das englische Wort mit mehreren deutschen umschreiben müßte, fällt also mit dem vorgenannten (layout) zusammen, denn wenn man zwar das englische Wort zuerst hört, dann aber erfährt, daß es doch ein deutsches vorher schon gab – nicht ein künstliches, von Sprachreinigern erfundenes –, dann wird man, falls man nicht in die Angsschweiß-Gruppe fällt, das deutsche benutzen.

„Wie Sie mit dem Job-Beispiel sehr schön verdeutlichen, ist das Empfinden 'Denglisch oder Deutsch' nur eine Frage der Zeit und der Gewöhnung. Ich frage mich nur immer wieder, warum manche Menschen dazu anscheinend Jahrzehnte brauchen.“
Weil es Gewöhn-Hindernisse verschiedener Art ist. Eines (meines) ist, daß man sich über die Blähwinsler so ärgert, daß man das Wort auch dann noch nicht mag, wenn es, weil zu verbreitet, diese Funktion gar nicht mehr so recht erfüllen kann. Eine andere ist, daß man einer bestimmten Variante des Konservativismus (nicht dessen Hauptlinie – in anderen Zusammenhängen schreibe ich übrigens Mainstream, aber das paßt hier nicht –, die hat nichts gegen Fremdes, sofern es die eigene Kultur bereichert) anhängt und Fremdes grundsätzlich nicht mag.
Noch was: Es scheint mir noch einen gewichtigen anderen Weg zu geben, neben dem Hauptweg: Über die Managersprache. Seit die neoliberale Ideologie Hochkonjunktur hat, hat der Manager einen gesellschaftlichen Rang bekommen, wie ihn früher Generäle und Gelehrte hatten, ja noch höher, knapp unter dem Stardirigenten. Und darum eignet sich die Managersprache hervorragend, um sich aufzublähen. Die aber ist zufälligerweise, teils aus rein funktionalen Gründen, d. h. weil es für’s Geschäft ist, extrem reich an Anglizismen; aber diese Anglizismen werden nicht benutzt, weil sie Anglizismen sind, sondern eben weil sie der Sprache der verehrten Klasse entstammen.

Beste Grüße

Ludwig Trepl

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RE: Provinz

#4 von Michael Allers , 24.07.2011 22:05

Zitat
Daß man sich kaum mehr mit Hilfe französischer Wörter großmacht, erweckt in mir allerdings eher eine wehmütig-nostalgische Stimmung, und daß das Aufblähen mit Fremdwörtern lateinisch-griechischer Herkunft, wenn sie nicht über den Manager-Jargon vermittelt werden, so zurückgegangen ist, ärgert eher, weil sich darin eine unangenehme Intellektuellen- und Bildungsfeindschaft zeigt.


Fazit:
Aha! Französische, lateinische, griechische Blähungen gibt es also auch, und wenn nicht, vermissen Sie diese. Bisher war Ihre These, dass ein Fremdwort jegliches Blähpotenzial verliert, wenn es nur lang genug im Deutschen beheimatet ist. Wie denn nun?

Zitat
„Ticket ist kürzer als Fahrkarte.“
Das halte ich für abwegig, oder genauer: das spielt nur dann eine Rolle, wenn man das englische Wort mit mehreren deutschen umschreiben müßte,


Vielleicht sollten Sie dem VDS Bremerhaven beitreten, s. hier, 20.07.2011. ;-)
Im Ernst: Sowohl buchstaben- als auch silbenbezogen beträgt die Länge von 'Fahrkarte' 150% der Länge von 'Ticket'. Eine Differenz von 50% ist eigentlich in allen Lebenslagen sehr relevant, ob beim Gehalt, beim Tempolimit oder beim Sprechen. Hinzu kommt, dass Denglisch-"Blähwinsler" ja viele solcher Kurzwörter verwenden, deren Längenvorteile sich also summieren.

Zur Managersprache:
Richtig, die ist überreich an Anglizismen, wäre aber auch ohne diese peinlich, s. "Synergien heben". Aber wer außer den Managern selbst und einer Schnittmenge von Politikern spricht denn so? Ich kenne niemanden außerhalb dieser Kaste(n).


"Je mehr Wortbestand eine Sprache mit anderen gemeinsam hat, umso größer ist ihre Wettbewerbsfähigkeit. Die englische Sprache selbst besteht zu guter Hälfte aus Wörtern anderer Sprachen, und sie ist ja auch nicht untergegangen, wie wir wisssen." - Prof. (em.) für Germanistische Linguistik Dr. Peter von Polenz

 
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RE: Provinz

#5 von Ludwig Trepl , 28.07.2011 10:45

„... beträgt die Länge von 'Fahrkarte' 150% der Länge von 'Ticket'.“ Im Ernst: das meinen Sie doch nicht im Ernst.

Aber wenn doch, dann sollte man konsequent sein und die deutsche Sprache nach Wörtern durchforsten, deren englische Übersetzung ein wenig kürzer ist. Umgekehrt sollte man die Anglizismen, die länger sind als das deutsche Pendant – einige gibt es sicher – wieder aussortieren. Und im nächsten Schritt – vorsichtig, denn das ist mit einigem Aufwand verbunden, man kann diese Sprachen ja im allgemeinen noch schlechter als Englisch – nach Wörtern im Türkischen, Arabischen, Chinesischen usw. suchen, die noch kürzer sind als die englischen. Am Ende hätten wir dann die optimale, weil kürzestmögliche Sprache. Oder doch nicht: Man könnte sich eine reine, ökonomisch optimierte Kunstsprache ausdenken. – Sprache was etwas mit Kultur und Geschichte zu tun, und dafür sind derartige Überlegungen eben einfach fehl am Platz. Man kann sich in der Kunstsprache sicher bequem eine Fahrkarte kaufen, aber weniger gut ein Gedicht schreiben oder eine Geschichte erzählen
Was die Managersprache angeht: Sie wird natürlich nicht überall gesprochen, sondern nur von den Managern, so wie den (mehr oder weniger denglisch-freien) Psychologenjargon vor 30 oder 40 Jahren auch nur die Psychologen gesprochen haben. Aber Versatzstücke daraus tauchten an allen Ecken und Enden auf, zumindest in der anakademisierten Mittelschicht, so daß ein ganz grausiges Kauderwelsch entstand. Und so ist es mit dem Managerjargon auch. Lesen Sie eine x-beliebige Erklärung einer heutigen Hochschulleitung, Parteiführung, Vereinsführung, Kirchenleitung ... zu irgendeinem Thema, das auch nur ganz entfernt die Gelegenheit gibt, Wörter wie Alleinstellungsmerkmal oder Angebotsorientierung unterzubringen, Sie werden staunen.

„Aha! Französische, lateinische, griechische Blähungen gibt es also auch, und wenn nicht, vermissen Sie diese. Bisher war Ihre These, dass ein Fremdwort jegliches Blähpotenzial verliert, wenn es nur lang genug im Deutschen beheimatet ist. Wie denn nun?“
Das war doch nie meine These. Die Länge der Zeit spielt nur eine Rolle insofern, als sie die Verbreitung des Wortes fördert. Nur darauf kommt es an, daß das Wort so gewöhnlich geworden ist, daß man sich mit ihm nicht mehr aufblasen kann. Lateinisch-griechische Fremdwörter sind nicht allgemein verbreitet, sondern nur in der Sondersprache bestimmter Kreise, die vom größten Teil des Restes als etwas Höheres angesehen werden. In dieser Sondersprache haben diese Fremdwörter kein Blähpotential; ein Mediziner kann sich vor seinen Kollegen nicht großtun, indem er statt Schnupfen das lateinische Wort dafür benutzt, andere schon; so wenig wie sich ein Amerikaner damit blähen kann, daß er englische Wörter benutzt, ein Deutscher aber schon. Bestreiten Sie das denn?

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Über 'Ticket' und andere kurze Wörter

#6 von Michael Allers , 28.07.2011 23:26

Zitat
„... beträgt die Länge von 'Fahrkarte' 150% der Länge von 'Ticket'.“ Im Ernst: das meinen Sie doch nicht im Ernst.


Doch, im Ernst; ich habe nachgezählt. ;-)
Ganz im Ernst: Ich habe ja geschrieben, dass solche Vorteile erst in der Summe zum Tragen kommen. Kleinvieh macht auch Mist.

Zitat
Aber wenn doch, dann sollte man konsequent sein und die deutsche Sprache nach Wörtern durchforsten, deren englische Übersetzung ein wenig kürzer ist. Umgekehrt sollte man die Anglizismen, die länger sind als das deutsche Pendant – einige gibt es sicher – wieder aussortieren.


Ersteres trifft geschätzt in mindestens 80% der Fälle zu. Englisch ist im Schnitt kürzer. (Ihr Vorschlag bzgl. weiterer Sprachen scheitert leider an fehlender Kenntnis in der Masse der Bevölkerung.)

Nun ist aber Deutsch keine Plansprache, auch wenn ich es mir manchmal wünsche. Trotzdem geht die Tendenz, nein: der Trend meist ganz ungesteuert zum kürzeren Wort (s. verlinkter Artikel). Sie werden keinen Manager sagen hören: "Das ist extraordinarily performant." - soviel Zeit hat der gar nicht. Sondern: "Das ist super-performant."

Zitat
Lesen Sie eine x-beliebige Erklärung einer heutigen Hochschulleitung, Parteiführung, Vereinsführung, Kirchenleitung ... zu irgendeinem Thema, das auch nur ganz entfernt die Gelegenheit gibt, Wörter wie Alleinstellungsmerkmal oder Angebotsorientierung unterzubringen, Sie werden staunen.


Eine Hochschulleitung oder Parteiführung besteht m.E. aus Managern. Und eine Vereinsführung und Kirchenleitung aus Amateur-Managern, was nicht heißen muss, dass letztere schlechter managen. Anscheinend lege ich den Begriff weiter aus (so wie im Englischen). Deshalb habe ich auch kein Problem mit dem Facility Manager.

Ihre Ausführungen zum Blähpotenzial sind auf der Basis, dass man Wörter überhaupt zum 'Blähen' benutzt, einleuchtend und akzeptabel.

Zitat
ein Mediziner kann sich vor seinen Kollegen nicht großtun, indem er statt Schnupfen das lateinische Wort dafür benutzt, andere schon; so wenig wie sich ein Amerikaner damit blähen kann, daß er englische Wörter benutzt, ein Deutscher aber schon. Bestreiten Sie das denn?


Nicht wirklich. ;-)


"Je mehr Wortbestand eine Sprache mit anderen gemeinsam hat, umso größer ist ihre Wettbewerbsfähigkeit. Die englische Sprache selbst besteht zu guter Hälfte aus Wörtern anderer Sprachen, und sie ist ja auch nicht untergegangen, wie wir wisssen." - Prof. (em.) für Germanistische Linguistik Dr. Peter von Polenz

 
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RE: Über 'Ticket' und andere kurze Wörter

#7 von Ludwig Trepl , 01.08.2011 12:01

„Eine Hochschulleitung oder Parteiführung besteht m.E. aus Managern. Und eine Vereinsführung und Kirchenleitung aus Amateur-Managern...“
Nein, ganz überwiegend bestehen diese Leitungen aus Professoren, Berufspolitikern, Theologen usw. Die verehren aber gewöhnlich die Manager (anders als vor wenigen Jahrzehnten, da war’s umgekehrt) und wären gern selber welche und reden darum wie die. Aber nicht nur in den Leitungen redet man so, viel weiter unten auch. Ich hab da meine Erfahrungen.


„Englisch ist im Schnitt kürzer.“ „Trotzdem geht die Tendenz, nein: der Trend meist ganz ungesteuert zum kürzeren Wort“.

Richtig. Doch sie wollen ja das als Beweis oder wenigstens Hinweis gewertet wissen, daß die Sprachökonomie eine wichtige Rolle für das Eindringen des Englischen spielt, eine, wenn ich Sie richtig verstanden habe, wichtigere sogar als die Minderwertigkeitskomplexe. Da ist aber einiges zu bedenken: Englisch dringt nicht nur ins Deutsche ein, sondern in viele, wohl die meisten Sprachen, oft verdrängt(e) es sie bereits weitgehend oder völlig. Man kann nicht davon ausgehen, daß es im Schnitt kürzer ist als all diese Sprachen, die Hälfte, darf man vorläufig vermuten, müßte noch kürzer sein. Und die Englisch-Ausbreitung ist auch nur ein Fall unter vielen. Unzählige Male wurden Sprachen aus anderen so stark mit Wörtern beliefert, daß sie kaum wiederzuerkennen waren, und unzählige Male wurden sie völlig verdrängt. Man erkennt immer wieder das gleiche Muster: Die Sprache der als sozial überlegen geltenden Gruppen (was immer das genau heißen mag, vor allem natürlich Kulturhöhe und/oder Macht) setzt sich durch. Das Lateinische hat fast alle Sprachen im weströmischen Reich verdrängt, das Spanische und Portugiesische hat das gleiche in Lateinamerika getan, das Französische in Frankreich, das Arabische im heute arabisch sprechenden Raum, das Deutsche beinahe das Tschechische usw. Das hatte keine sprachökonomischen Gründe, sie mögen, wie auch ganz vernünftige Gründe der Art, daß es für viele neuen Dinge keine Wörter in der alten Sprache gab, allenfalls eine gewisse Beschleunigungswirkung gehabt haben. Nein, der Hauptgrund war zu allen Zeiten: Man wollte so sprechen wie die, die etwas gelten; Oder nehmen Sie die Dialekte. Praktisch nie kommt es vor, daß die Stadtbevölkerung den Dialekt der umliegenden Dörfer annimmt, sondern immer ist es umgekehrt (wo es anders scheint – z. B. das Verwinden der mitgebrachten Dialekte in den neugegründeten Flüchtlingsstädten nach dem Krieg, die Angleichung der ursprünglich fränkischen Dialekte in Plauen, Zwickau und Chemnitz ans Sächsische), scheint es nur so: nicht der Dialekt des umliegenden Landes wurde angenommen, sondern der Dialekt des Staates, in dem die Stadt liegt. Die Angleichung an die Stadt liegt selbstverständlich ebenfalls daran, daß man wie diejenigen sprechen wollte, deren sozialer Rang als höher gilt (man nahm ja auch sonst ihre Sitten, ihre Kleidungsgewohnheiten usw. an). Man könnte von einem grundlegenden Gesetz der Sprachentwicklung seit Entstehen der ersten Hochkulturen sprechen (das ist natürlich eine Vermutung, aber eine hochplausible). Es ist eine kühne Hypothese, daß dieses heute, im Falle der Ausbreitung des Englischen, nicht mehr gelten soll.

Als Dauerzitat steht auf Ihrer Seite:
"Je mehr Wortbestand eine Sprache mit anderen gemeinsam hat, umso größer ist ihre Wettbewerbsfähigkeit. Die englische Sprache selbst besteht zu guter Hälfte aus Wörtern anderer Sprachen, und sie ist ja auch nicht untergegangen, wie wir wisssen." - Prof. (em.) für Germanistische Linguistik Dr. Peter von Polenz

Das sollten Sie streichen, es ist unhaltbar. (1) Man kann nach Belieben behaupten, daß eine Sprache – jede Sprache – zu 20, 50 oder 70 % aus Wörtern anderer Sprachen besteht, je nach dem, wie weit man zurückgeht. (2) Geht man aber beim Vergleichen jeweils gleich weit zurück, dann stimmt die Schlußfolgerung von Polenz ganz und gar nicht. Chinesisch ist nicht knapp 1000 Jahre alt wie das Englische, sondern mindestens 2- oder 3000 Jahre und hat in dieser ganzen Zeit vergleichsweise sehr wenige Wörter aus anderen Sprachen aufgenommen, vielmehr andere beliefert (so wie das Englische in den letzten Jahrhunderten und ganz anders als das Deutsche in den letzten Jahrhunderten), und es ist auch nicht untergegangen. Daß es nicht untergegangen ist, hat aber, wie seine „Wettbewerbsfähigkeit“ überhaupt, schlechterdings gar nichts mit einer durch den Anteil von Wörtern aus anderen Sprachen bedingten Stabilität zu tun, sondern hat völlig andere Ursachen, „wie wir wissen“. Und daß das Englische nicht untergegangen ist, die Cornwall-Sprache aber schon, hat ebenfalls keine der Sprache immanenten Ursachen, sondern politische.

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RE: Über 'Ticket' und andere kurze Wörter

#8 von Michael Allers , 03.08.2011 18:42

1. Manager:
Wie geschrieben: Ich lege diesen Begriff weiter aus. Ob Professoren oder kirchliche Laien - kein Beruf und keine gesellschaftliche Position schließt Management aus. Möchten Sie bestreiten, dass Hausfrauen und -männer ihren Haushalt managen?

2. Kürze des Englischen:
Ich kenne nur germanische und romanische Sprachen. Angesichts der englischen Top-100-Wörter, welche 50% der geschriebenen Sprache ausmachen, bezweifle ich, dass es viel kürzer geht. Franzosen und Italiener haben ebenfalls viele kurze Wörter, gehen aber zu verschwenderisch damit um: qu'est-ce que c'est? statt einfach qu'est ce?
Germanisches Skandinavisch ist ähnlich kurz wie Englisch, hat aber nicht dessen Bedeutung. Bleibt das kurze, knackige Spanisch, das nicht umsonst ebenfalls eine Weltsprache ist.

3. Verbreitung / Verdrängung von Sprachen:
Natürlich ist weder bei Englisch noch bei Spanisch die Kürze / die Einfachheit der alleinige oder gar der Hauptgrund für deren Verbreitung. Das soziale Prestige spielt sicher eine große Rolle. Aber wieso sollte dies bzgl. des Englischen angesichts der grassierenden USA-Feindlichkeit in der BRD besonders hoch sein?

Sie verkennen folgendes:
3.1 Gewaltsame Sprachverbreitung
Römer, Spanier, Briten, Russen usw. haben doch nicht nur ihre Wörter exportiert, sondern - bis an die Zähne bewaffnet - sich selbst. M.a.W.: Sie haben fremde Länder okkupiert und deren Bewohner ausgerottet, sie zumindest stark dezimiert oder einfach per Gesetz ihre Sprache zur Landessprache erklärt, so dass die nativen Sprachen keine Chance mehr hatten.
Das eben trifft für Englisch in Deutschland nicht zu. Selbst als wir noch in Besatzungszonen lebten, haben die Siegermächte (außerhalb des schulischen Fremdsprachenunterrichts) niemanden gezwungen, ihre Sprache zu sprechen.

3.2 Sprachwandel vs. Verdrängung
Man muss doch unterscheiden zwischen Sprachwandel durch Aufnahme einiger Fremdwörter und der kompletten Verdrängung einer Sprache. Im ersten Fall besteht die Sprache fort, z.B. die deutsche. Deutsche sprechen untereinander weiterhin nicht Englisch, sondern Deutsch. Nun verweigern Sprachpuristen den Anglizismen die Aufnahme in die dt. Sprache, um sodann zu lamentieren, wir sprächen kein Deutsch mehr, sondern Denglisch. Diese 'Strategie' ist genauso durchsichtig wie Bestrebungen, Immigranten die Einbürgerung zu verweigern / erschweren, um vor der "Ausländerflut" zu warnen.

4. Das Polenz-Zitat (s. Signatur):
4.1 Wettbewerbsfähigkeit
Beispiel: Ich beschäftige mich seit einem Jahr mit Schwedisch und kann es mittlerweile einigermaßen lesen. Warum? Weil viele Wörter dem Deutschen oder Englischen recht ähnlich sind, wenn man die Regeln von Schreibung und Lautung begriffen hat. In slawischen Sprachen oder Türkisch erkenne ich zumindest Hunderte von Internationalismen wieder. Ich beschäftige mich jedoch nicht mit Walisisch und habe dies auch nicht vor. Es ist mangels gemeinsamer Wörter in Bezug auf mein Interesse nicht konkurrenzfähig.

4.2 Fremdwortanteil, Überleben der engl. Sprache
Sie ziehen einen unzulässigen Umkehrschluss. Natürlich ist es zum Überleben einer Sprache nicht erforderlich, dass möglichst viele Wörter importiert werden. 'Chinesisch' hat m.E.:
a) durch die Masse der Sprecher
b) durch Jahrhunderte lange Abschottung Chinas
in einer verhältnismäßig 'reinen' Form überlebt. Ob heute unter der jungen, urbanen Bevölkerung 'Chenglish' verwendet wird, weiß ich nicht, halte es allerdings für wahrscheinlich. Aufgrund a) und der Wirtschaftsmacht ist Chinesisch natürlich nicht gefährdet. Konkurrenzfähig i.S. einer potenziellen Weltsprache ist es dennoch nicht. Dem steht schon die mangelnde Abstraktion der Schrift entgegen.

Polenz sagt doch nur, dass ein Massenimport von Wörtern keineswegs zum Aussterben einer Sprache führt; das Beispiel Englisch ist insofern unwiderlegbar. Wenn ich also die Signatur irgendwann ändere, dann nicht, weil ich sie falsch finde.


"Je mehr Wortbestand eine Sprache mit anderen gemeinsam hat, umso größer ist ihre Wettbewerbsfähigkeit. Die englische Sprache selbst besteht zu guter Hälfte aus Wörtern anderer Sprachen, und sie ist ja auch nicht untergegangen, wie wir wisssen." - Prof. (em.) für Germanistische Linguistik Dr. Peter von Polenz

 
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RE: Über 'Ticket' und andere kurze Wörter

#9 von Ludwig Trepl , 06.08.2011 11:48

„Das soziale Prestige spielt sicher eine große Rolle. Aber wieso sollte dies bzgl. des Englischen angesichts der grassierenden USA-Feindlichkeit in der BRD besonders hoch sein?

“ Das ist einseitig. Interessant ist doch, wie sich bei uns die USA-Feindlichkeit mit einer hemmungslosen USA-Begeisterung verbindet. Es gibt ja heute, anders als noch vor wenigen Jahrzehnten, kaum mehr (übersetzte) französische, italienische, russische Bücher und Filme. Was nicht aus den USA kommt, hat heute keine Chance (von der Popmusik ganz zu schweigen). Aber das verbindet sich, oft oder meist sogar im selben Kopf, mit Antiamerikanismus, kulturellem wie politischem. Ein schönes Beispiel ist die taz. Wenn überhaupt eine Zeitung Vorreiterin der Amerikanisierung des Deutschen ist, dann sie. Zugleich ist sie, verglichen z. B. mit einem offen pro-amerikanischen Organ wie der Welt, heftig USA-feindlich. Wahrscheinlich haben die Psychologen für dieses psychische Leiden ein Fachwort. Haßliebe sagt der Volksmund dazu. – Bei den USA kommt aber noch eine historische Besonderheit hinzu: Ihre Kultur verkörpert die Spitze des industriekapitalistischen Fortschritts, also dessen, was auch in allen anderen Ländern, ohne Ausnahme, die historische Haupttendenz ist. Es ist gar nicht anders möglich, als daß eine solche Kultur Haßliebe auf sich zieht. (Es mag seltene Ausnahmen, Länder mit Sondersituationen, geben; vielleicht ist die einzige Israel, wo die Haß-Seite schwerlich auftauchen kann.)

Zu (1) „Möchten Sie bestreiten, dass Hausfrauen und -männer ihren Haushalt managen?

“ Ja, bestreite ich; sie führen ihren Haushalt. Das Wort „managen“ hat im Deutschen nicht die gleiche Bedeutung wie „to manage“ im Englischen.

Zu (2) Kürze des Englischen: Wofür /wogegen ist das ein Argument?

Zu (3.1) Gewaltsame Sprachverbreitung. Daß eine Sprache den Unterworfenen aufgezwungen wurde, war eine seltene Ausnahme. Selbst die milderen Formen des Zwangs (z. B. die Einführungsversuche des Deutschen als Amtssprache im Habsburger Reich) waren Ausnahmen. Latein, Spanisch usw. haben sich in den riesigen Reichen einfach deshalb verbreitet, weil sie Sprachen der Herrenschicht waren. Wo die Herrenschicht selbst ihre Sprache aufgab (die herrschenden Germanen im ehemaligen römischen Reich), dann deshalb, weil die kulturelle Unterlegenheit dieser Barbarenstämme allzu kraß war.

Zu (3.2) Sprachwandel vs. Verdrängung: Gewiß muß man da unterscheiden. Und es ist richtig, daß die Denkstruktur hinter der Ablehnung fremder Wörter die gleiche ist wie die hinter der Ablehnung von Immigration. Es ist sozusagen eine degenerierte Variante konservativen Denkens. (Der klassische Konservativismus war da anders, für ihn war Bereicherung durch fremde Einflüsse wertvoll, aber es mußte eben Bereicherung des Eigenen sein – wenn Sie so wollen: Die Hugenotten sind willkommen und ihre Sprache auch, aber: Büro statt Bureau). Man könnte vielleicht von der (inzwischen so gut wie verschwundenen) alten bayerischen Variante des Konservativismus sprechen: Mia san mia.

Zu (4) Wettbewerbsfähigkeit, Polenz-Zitat: „Polenz sagt doch nur, dass ein Massenimport von Wörtern keineswegs zum Aussterben einer Sprache führt“. Er sagt nicht nur das, aber das sagt er auch, und da hat er recht. Sie setzen fort: „das Beispiel Englisch ist insofern unwiderlegbar.“ Das stimmt nicht. Seit Englisch weltweit so erfolgreich ist, hat es kaum mehr fremde Wörter aufgenommen – schon Jahrhunderte vorher nicht mehr. Dominante Nationen schotten ihre Sprachen sozusagen ganz zwanglos ab, denn wieso soll man die Sprache und sonstige Gewohnheiten der hoffnungslos unterlegenen, verachteten anderen Nationen annehmen? – Aber Polenz sagt auch, daß die – in seinem neoliberalen Jargon – „Wettbewerbsfähigkeit“ vom Anteil fremder Wörter abhängt, und das ist ganz klar falsch. Es ist egal, weshalb Chinesisch stabil oder Englisch wettbewerbsfähig ist, es hat jedenfalls nichts mit dem Anteil von Wörtern fremder Herkunft zu tun. Deutsch, Polnisch, Ungarisch usw., all die Sprachen, die in neuerer Zeit sehr viele fremde Wörter aufgenommen haben, sind nicht besonders wettbewerbsfähig. Das hat einfach nichts miteinander zu tun.

Sie argumentieren hierzu ja nur, daß für Sie selbst das Interesse an nicht-germanischen Sprachen wegen mangelnder Ähnlichkeit mit ihrer eigenen nicht groß ist bzw. umgekehrt sie lieber eine Sprache lernen, die viel mit der eigene gemeinsam hat. Aber historisch spielte da bei kulturell-politischer Dominanz kaum eine Rolle. Spanisch, Portugiesisch und Englisch wurden in Amerika, Russisch in ganz Nord- und Mittelasien, Arabisch im Großteil des Orients (die Liste ließe sich verlängern) erlernt, obwohl die Verwandtschaft mit den eigenen Sprachen nur größer ist als die des Deutschen mit Finnisch oder Türkisch.
„Polenz sagt ..., dass ein Massenimport von Wörtern keineswegs zum Aussterben einer Sprache führt“. Zum Aussterben sowieso nicht, wie sollte das denn gehen? – Sie schreiben ja selber: „Man muss doch unterscheiden zwischen Sprachwandel durch Aufnahme einiger Fremdwörter und der kompletten Verdrängung einer Sprache“. Aussterben kann die Sprache nur durch komplette Verdrängung, also durch einen „qualitativen Sprung“ (so wie die meisten keltischen Sprachen, die Indianersprachen, das Tschechische beinahe usw. – oder das Bayerische in München und Umgebung). Aufnahme von fremden Wörtern führt immer nur zu Veränderung. Die kann aber so groß sein, daß man nicht mehr sinnvoll von ein und derselben Sprache sprechen kann, weil sich die Sprecher der alten und die der neuen Variante nämlich nicht mehr verstehen können. In Japan soll es so sein, daß die Alten die Jugend nicht mehr verstehen. Auch bei uns handelt es sich nicht mehr nur um die Aufnahme „einiger“, wie sie schreiben, englischer Wörter, das Tempo hat sich in den letzten 20 Jahren so beschleunigt, daß – falls es noch einige Zeit so weitergeht - ein passender Vergleich vielleicht der Wandel vom Angelsächsischen zum Englischen im Mittelalter ist. Da redet man von zwei verschiedenen Sprachen, glaub ich. Aber mit Aussterben hat das, wie gesagt, nichts zu tun. Es ist wie der Unterschied zwischen dem Aussterben einer Tierart, etwa durch Ausrottung, und dem Ende einer Art dadurch, daß die Art zu einer anderen wird. Die Nachkommen der alten Art leben nach wie vor, aber sie gehören nicht mehr der alten Art an.
Man kann diesen Wandel, da gebe ich Ihnen recht, nicht allgemein verurteilen – die englisch sprechenden Engländer haben sich mit ihrer neuen Sprache sicher nicht unwohler gefühlt als die angelsächsisch sprechenden Engländer mit ihrer. Das gilt auch bei völliger Verdrängung (Aussterben). Aber für die Verlierer ist vor allem letzteres ein überaus schmerzlicher Prozeß. – Gegen die Aufnahme englischer Wörter hab ich nichts, nur gegen die Vorreiter der Anglifizierung, das und die Gründe dafür hab ich ja schon öfter ausgeführt. Gegen die völlige Verdrängung, die ja auch droht und in einigen – wichtigen – Bereichen schon geschieht, hab ich dagegen sehr wohl etwas, aus ganz egoistischen Gründen, weil ich nämlich zu den Verlierern gehöre.

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RE: Über 'Ticket' und andere kurze Wörter

#10 von Michael Allers , 15.08.2011 01:09

Lieber Herr Trepl,

um es abzukürzen:
Wo ich Ihnen nicht ausdrücklich widerspreche, gebe ich Ihnen zumindest teilweise recht, z.B. in puncto Hassliebe zu den USA. "Mia san mia" passt hervorragend, wenn mal wieder ein englischsprachiger Klugscheißer meint, Denglisch sei falsches Englisch.

Zitat
Zu (1) „Möchten Sie bestreiten, dass Hausfrauen und -männer ihren Haushalt managen?“ Ja, bestreite ich; sie führen ihren Haushalt. Das Wort „managen“ hat im Deutschen nicht die gleiche Bedeutung wie „to manage“ im Englischen.


Richtig wäre: "hatte früher im Deutschen nicht die gleiche ..." Mittlerweile hat sich die Bedeutung erweitert, in der Tat durch den englischen Einfluss. Vgl. 'realisieren', das mittlerweile die vollständige Bedeutung von realize hat. Solche Bedeutungserweiterungen kamen und kommen immer vor, ob durch frendsprachlichen Einfluss oder nicht.

Zitat
Zu (2) Kürze des Englischen: Wofür /wogegen ist das ein Argument?


Gegen Ihre Vermutung

Zitat
Man kann nicht davon ausgehen, daß es im Schnitt kürzer ist als all diese Sprachen, die Hälfte, darf man vorläufig vermuten, müßte noch kürzer sein.


Ich vermute, es sind weit weniger als die Hälfte. Viel kürzer als mit 2 - 3 Buchstaben pro Wort geht es ja kaum. Ausnahmen wie ay (türk.) <=> moon oder ø (dän.) <=> island bestätigen wohl eher die Regel.

Nochmals: Natürlich ist die Kürze nicht der alleinige Grund, auch wenn sogar der VDS-Vorsitzende (!) sagt:

Zitat
Ich selbst nutze in meinen Vorlesungen sogar dann englische Wörter, wenn es deutsche dafür gibt, aber wenn die englischen halt kürzer sind.


Wichtiger ist die internationale Verständlichkeit, und die ist - da werden wir uns wohl nicht einig - je größer, desto mehr gemeinsame Wörter vorhanden sind. Die globalisierte Welt braucht doch definitiv eine lingua franca, und als solche ist mir und ist der deutschen Sprache Englisch allemal näher als Mandarin, Russisch oder Arabisch.

Ihnen ist - wenn ich "zu den Verlierern gehöre" richtig interpretiere - das Englische nicht sehr nahe. Zum Schluss mal eine ketzerische Frage:
Sie verbringen viel Zeit damit, gegen Denglischsprecher zu bloggen und zu kommentieren. Andere Sprachnörgler schimpfen zeitintensiv auf Denglisch an sich.

Wäre diese Zeit nicht sinnvoller und konstruktiver in eine Englischfortbildung investiert? Würde das nicht die Berührungsängste lindern und die Fiktion, dass der Mensch einsprachig zu sein hat, in Luft auflösen?
Ich hörte mich neulich sagen "Dann bin ich nicht available." Sie werden das scheußlich finden; ich nehme halt das erstbeste Wort, das mir durch den Kopf schießt, egal aus welcher Sprache (zum Fluchen oft Italienisch). Deshalb bin ich weder "Blähwinsler" noch "Sprachpanscher". Und wenn doch, dann war Luther, auf den sich Sprachnörgler so gern berufen, erst recht einer:

Zitat
Ich rede nach der Sechsischen Cantzley, quam imitantur omnes duces et reges germaniae; alle reichstette, fürsten höfe schreiben nach der Sechsischen Cantzelein unser churfürsten. Ideo est communissima lingua germaniae.
...
spiritus sanctus setzt mortem ein ab poenam.


"Je mehr Wortbestand eine Sprache mit anderen gemeinsam hat, umso größer ist ihre Wettbewerbsfähigkeit. Die englische Sprache selbst besteht zu guter Hälfte aus Wörtern anderer Sprachen, und sie ist ja auch nicht untergegangen, wie wir wisssen." - Prof. (em.) für Germanistische Linguistik Dr. Peter von Polenz

 
Michael Allers
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